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Sie war die „Mami“ - Es bleiben Fragen, Fakten, Forderungen

06.03.2024 / 7:35 Uhr — Chris Stoffels

Pressefotos Sie war die „Mami“. Und als solche der unbestrittene Mittelpunkt der Familie mit den vier Kindern und acht Enkeln. Über drei Generationen prägte sie die Familie, war Garantin für deren Zusammenhalt und für die Kraft der Kinder und Enkel. Mami ist tot. Gestorben an einem frühen Sonntagmorgen im Rheinland-Klinikum in Dormagen. Niemand war bei ihr, nicht einmal die engsten Angehörigen wurden verständigt, um ihr in der letzten Stunde ihre Hand zu halten, um sich würdig zu verabschieden, um das letzte Bild von ihr im Herzen zu bewahren – für immer. Die Tochter ist verzweifelt, der Sohn geschockt. „Allein der Gedanke, dass wir nicht bei ihr waren, raubt mir den Schlaf und macht mir Albträume“, sagt die Tochter. Mami – herausgerissen aus der Familie, hineingeworfen in das undurchdringbare System einer Klinik.

Spurensuche im Rheinland-Klinikum
Auch der Chef der Notaufnahme, Dr. Thomas Loosen, sucht, fragt, vergewissert sich, versucht Klarheit zu schaffen. Doch es bleiben Fragen, Fakten, Forderungen. Der Mediziner öffnet die Patientenakte, gibt Einblicke in das Vorgehen bei Mamis Behandlung. Als Tochter Susanne die Mutter am Samstag um die Mittagszeit in die Notaufnahme des Rheinland-Klinikums in der Chemiestadt bringt, leidet die Mami unter „Beinschmerzen"; vor einigen Tagen war ihr ein Kochtopf auf den Fuß gefallen. Die Diagnose in der Klinik geht darüber hinaus: Blutvergiftung, Lungenentzündung, Herzrhythmusstörungen. Mami durchläuft die Prozedur in der Notaufnahme und landet ziemlich bald in einem Krankenhausbett. Das bedeutet: Kontrolle alle zwei Stunden, zuletzt in der Akte dokumentiert um drei und um fünf Uhr am frühen Sonntagmorgen.

Ohne wesentliche Befunde. „Wäre es bei dieser Diagnose nicht unbedingt angebracht gewesen, die Patientin engmaschig zu überwachen?“, hakt eine der Töchter kritisch nach. Sie selbst wollte bei der Mutter im Zimmer bleiben, sie hätte achtgeben können. Es ging angeblich nicht. Der verantwortliche Arzt zieht die Verhältnisse in der Klinik, und insbesondere in der Notaufnahme, in Betracht. „Wir arbeiten hier sehr oft am Anschlag“, sagt der Mediziner. Die Möglichkeiten der intensiven Überwachung seien begrenzt, personell und hinsichtlich des Materials. „Wir können nicht einfach neue Mediziner und Pflegekräfte verpflichten“, wiegelt Verwaltungschefin Elisabeth Michels ab. Wirtschaftlichkeit gegen Menschlichkeit?

Mami stirbt in der Nacht, irgendwann am frühen Morgen. „Sie ist nicht mehr aus dem Schlaf erwacht“, stellt Joosten fest. „Sie war ja schon alt“, sagt am Sonntagmorgen die diensthabende Ärztin. Was die Medizinerin möglicherweise als Trost gedacht war, kommt in diesem Moment am anderen Ende der Leitung bei der Tochter als „zynische Bemerkung“ an.

Die Familie kann sich nicht verabschieden. Trotz aller Bemühungen, in der letzten Stunde bei Mami zu sein. „Sie ist im Schlaf gestorben, das war für uns nicht absehbar“, sagt der Mediziner. Doch er kann die Angehörigen nicht überzeugen. Er wehrt sich allerdings vehement gegen den Vorwurf, es werde bei alten Patienten eine Art verdeckter Triage (Auswahl) angewendet, wie etwa bei den Notständen in manchen Kliniken während der Corona-Pandemie.

Mami starb einsam ohne Beistand ihrer Familie. Die Notaufnahme der Dormagener Klinik arbeitete so, wie sie nach ihren Erkenntnissen und Erfordernissen funktionieren muss. Auf der anderen Seite die einsame Frau, im fremden Bett, dem Tod entgegensehend oder schlafend das Sterben ertragen müssen. Zwei Lebenswirklichkeiten, die offensichtlich nicht zusammenpassen - aber die untrennbar aufeinander angewiesen sind.

Das „System Notaufnahme“ muss funktionieren. Das steht außer Frage. Menschen sind auf eine leistungsstarke medizinische Hilfe vor Ort angewiesen. Aus Sicht der Medizin mag dazu das beste technische Equipment das wichtigste sein. Doch die Patienten und Patientinnen können und dürfen mehr erwarten: Menschliche Zuwendung, egal in welchem Alter und bei welcher Diagnose, ist die wichtigste Begleitung – vor allem in den letzten Stunden, wenn das Sterben unausweichlich wird. Niemand will diese Welt verlassen wie Mami. Das Bild, das die Kinder und Enkel von ihrer Mami, von ihrem Mittelpunkt behalten werden, wird für immer unvollständig bleiben. Lässt sich die Zugewandtheit der Ärzte und des Pflegepersonals zu den Patienten und Angehörigen wirklich nicht mit der Wirklichkeit des Krankenhauses verbinden?
Chris Stoffels

(Die Namen aller Beteiligten sind dem Autor und der Redaktion bekannt)
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